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Spektrum-e:
Dr. Kullmann, heute soll es um ein Thema gehen, das – buchstäblich – in aller Munde ist: adhäsiv befestigte keramische Veneers. Warum ist das so?

Dr. Kullmann:
Das ergibt sich einerseits aus einem Bedürfnis einer breiten Schicht in der Bevölkerung möglichst ästhetisch perfekte Zähne zu haben, gleichzeitig aber die eigene Zahnhartsubstanz maximal zu schonen und eine komplette Überkronung zu vermeiden. Lebensstil und persönliche Faktoren führen häufig zu Zahnproblemen wie Lücken, Zahnfehlstellungen, Flecken und Verfärbungen. In einigen Fällen können Veneers, die die Frontzähne bedecken, die beste Option sein, um das Aussehen Ihrer Zähne und Ihr Lächeln deutlich zu verbessern.

Durch den Synergismus dessen, was man heute mit dem ästhetischen Potential von Hochleistungskeramiken bewirken kann in Verbindung mit extrem effizienten Klebeverfahren/-Materialien, kann man einerseits Substanz schonend, andererseits aber auch sehr sicher verfärbte, frakturierte oder fehlgestellt Zähne ästhetisch erfolgreich behandeln. Das schließt natürlich auch den Einsatz von Veneers in der konservierenden Behandlung von kariösen Zähnen mit ein.

Spektrum-e:
Mal gleich vorweg eine „blasphemische“ Frage: Ginge das alles auch nicht mit direkten Füllungen aus Composite, so genannten „Kunststoff-Füllungen?

Dr. Kullmann:
Direkte Composite-Restaurationen haben durchaus Ihren Einsatzbereich, sind aber bei einer umfangreicheren Defektanatomie und anspruchsvoller Farb- und /oder Textur-Situation – zumindest nach meinen Erfahrungswerten – keine gute Wahl. Dazu kommt, dass die Anlagerungskapazität für Beläge auf Composite-Restaurationen wesentlich höher ist als auf Keramiken. Keramiken sind elektrisch neutral, Composites sind tendenziell positiv geladen und Bakterienwände sind eher negativ geladen. Da gibt es also – zumindest mittelfristig – ein Problem, denn dauerhafte Beläge induzieren eine Zahnfleischentzündung. Nicht gut …

Spektrum-e:
Wie non-invasiv ist die Behandlung mit Veneers tatsächlich? Erfolgt nicht irgendwie doch ein Abtrag von Zahnhartsubstanz?

Dr. Kullmann:
Das ist in erster Linie abhängig von der individuellen Situation und der in diesem Zusammenhang vorab durchgeführten Analyse und der erforderlichen Mindeststärke von Veneers. In einem Fall, wo rein additiv gearbeitet werden muss, also generell ein MEHR an Volumen für ein ästhetisch ansprechendes Ergebnis gefordert ist, kann es sein, dass überhaupt nicht präpariert werden muss, also überhaupt kein Zahnhartsubstanzabtrag erfolgen muss. Das ist die – „klassische“ – Indikation für die so genannten Non-Prep-Veneers. Leider eher eine Ausnahme, zumindest für meine Wahrnehmung.

In Situationen, wo tatsächlich ein Substanzabtrag erfolgen muss, kann man allerdings ganz klar konstatieren, dass dieser notwenige Abtrag dann wesentlich geringer ist. Werden bei einer konventionellen Krone rund 70% der Zahnkrone präpariert, sind es bei einem Veneer 3-30% maximal. Das ist nur möglich, weil die Mindeststärke von keramischen Veneers bei sagenhaften 0,5 bis 0,7mm liegt. Je dünner die Verblendung, desto geringer der Zahnabtrag.

Dieser reduzierte Abtrag an Zahnhartsubstanz hat für den Patienten substanzielle Vorteile, denn das Risiko von postoperativen Problemen im Zuge eines Präparationstraums ist deutlich reduziert; ebenso die Gefahr eines Vitalitätsverlustes und anschließender Wurzelkanalbehandlung.

Spektrum-e:
Wie stellen Sie sicher, dass der Abtrag auch nur in diesem Ausmaß erfolgt?

Dr. Kullmann:
Das ist recht einfach. Wir analysieren im Labor wo additiv und wo subtraktiv gearbeitet werden muss und simulieren die Präparation. Mit Hilfe von Übertragungsschienen können dann diese ermittelten Werte auf die wirkliche Situation übertragen werden. 1:1 wird das sicherlich nie realisiert werden, aber, es ist besser als irgendein „Freestyle“-Schleifen.
Wir entfernen also eine sehr dünne Schicht des Zahnschmelzes, um Platz für das Aufkleben der Verblendung zu schaffen. Für diesen Vorgang können wir eine örtliche Betäubung oder sogar – Dank unserem sehr erfahren Team aus Anaesthsiologen- eine Dämmerschlafsedierung anbieten, falls die Ängste übermächtig sind.

Nachdem die Präparation abgeschlossen wurde, erfolgt die Abdrucknahme und die Arbeit geht in das Labor, wo das, was vorher in Bezug auf Form, Farbe, Stellung und Textur ermittelt wurde, in die definitive Versorgung umgesetzt wird.

Spektrum-e:
Wie wissenschaftlich ist diese Behandlungsmethode?

Dr. Kullmann:
Es gibt eine hierzu Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde aus dem Jahr 2007 zu zahnfarbenen Restaurationen aus Keramik, und das ist ja schon ein Weilchen her. Sie wissenschaftliche Literatur hat in diesem Zeitraum nicht abgenommen, sondern eher zugenommen…

Kurzum, Keramikveneers sind wissenschaftlich anerkannte definitive Versorgungen mit entsprechender Verankerung in der wissenschaftlichen Literatur. In der amtlichen Gebührenordnung für Zahnärzte aus dem Jahre 2012 haben sie ebenfalls Eingang gefunden (GOZ-Position 2220); damit ist das Thema „Veneers“ zudem amtlich. Sie können für die Anwendung in der Praxis definitiv empfohlen werden.

Ich persönlich würde – und da gehe ich noch einmal zurück auf das Thema Zahnhartsubstanzabtrag – die Überkronung von halbwegs gesunden Zähnen aus ästhetischen Gründen sogar als Kunstfehler ablehnen im Licht dieser, zur Verfügung stehenden Technik.

Spektrum-e:
Gibt es eigentlich irgendeine Kontraindikation für Veneers?

Dr. Kullmann:
Und ob! Um nur Einige zu nennen:
• ungenügende Schmelzquantität und -qualität
• zirkuläre kariöse Läsionen am Übergang zum Zahnfleisch aufgrund mangelhafter Hygiene und /oder hoher Kariesaktivität
• zu tiefe Präparationen unterhalb des Zahnfleischs bei vorherigen Restaurationen
• sehr breite Lücken zwischen den Zähnen
• Patienten mit starker Parafunktionen (Bruxismus, Knirschen)

Spektrum-e:
OK, langsam entwickelt sich ein Bild, aber, wie genau sieht die Planung wirklich aus, insbesondere, wenn der „ideale Fall“ nicht vorliegt?

Dr Kullmann:
Am Anfang steht ganz klar die Ursachenanalyse. Warum gibt es Discolorationen (Verfärbungen)? Welche Möglichkeiten der Vorbehandlung gibt es (Stichwort: Zahnaufhellung, oder „Bleaching“)?

Sollten Stellungsanomalien zunächst kieferorthopädisch behandelt werden, um das Primat des substanzschonenden Abtrags erfüllen zu können?

Wie sieht es mit dem Verlauf des Zahnfleischs aus? Ist der harmonisch, oder sollte parodontal-chirurgisch optimiert werden?

Wie sieht es mit der Vertikalen aus? Sollte ggf. eine Bisshebung erfolgen? Hier fängt es dann an wirklich komplexer zu werden …

Die Planung ist in jedem Fall im Sinne eines „Team-Approach“ aufzufassen, wobei das wichtigste Team-Mitglied der Patient ist, weil es um seine (!) Wünsche und Empfindung geht.

Der spezialisierte Zahntechniker sitzt dabei – von Anfang an – mit im Boot, damit ein funktionell–ästhetisches Optimum, unter Einbeziehung aller relevanter Parameter, erzielt werden kann. Diese sind: Zahnstellung, Verteilung der Farbnuancen, altersentsprechender Farbaufbau und Oberflächentextur.

Bei umfangreicheren Fällen hilft eine haptische Simulation, ein so genanntes Mock-Up, bei dem das Behandlungsergebnis de facto vorweggenommen wird, weil im Labor zuvor das Zahndesign erarbeitet wurde, das dann – via Schablone – auf die Mundsituation übertragen wird. Damit kann das Veränderungspotential durch die Verblendschalen von Anfang an ganz anders erfasst werden, als etwa durch eine Computersimulation (durch „computed imaging“ erzeugtes Mock-Up). Eine weitere Fotoanalyse kann sich dann anschließen , um die Vorher-Nachher-Situation bewerten zu können, und – gegebenenfalls – auch eine Materialvorauswahl treffen zu können.

Dieses Verfahren bietet sich natürlich am besten an für Fälle, wo rein additiv gearbeitet werden kann im Sinne eines „Smile-Designs“, wobei – in der Regel – der gesamte sichtbare Oberkieferbereich mit Veneers versorgt, und damit eine deutliche Veränderung des Aussehens des Patienten erzielt wird. Bei Stellungsanomalien, wo subtraktive Maßnahmen erforderlich sein können, zeigt die haptische Simulation – gerade bei solchen Fällen – durch das Mock-Up allerdings seine Grenzen.

Spektrum-e:
Ich möchte an dieser Stelle einmal das sich nun anschliessende Labor-technische Procedere umgehen, und auf die Frage des Verbunds zielen. Wie werden die fertigen Veneers – wenn dann alles zur Zufriedenstellung hergestellt ist – verankert? Wie muss man sich das vorstellen? Die Teile sind ja verdammt dünn und müssen im Mund ja Einiges über sich ergehen lassen.

Dr. Kullmann:

Nach erfolgreicher Einprobe (entweder in der Praxis, manschmal auch im Labor für ein „Feintuning“ der Veneers), werden die Zähne intensiv gereinigt und – natürlich unter Lokalanästhesie – sehr stark getrocknet. Parallel dazu wird die Oberfläche der Veneers vorbereitet. Die Teile werden dann gemäß den Regeln der Adhäsivtechnik mit einem niedrigviskösen Kleber eingegliedert und dieser mit UV-Licht vollständig ausgehärtet. Erst durch diese Verklebung mit den Zähnen erlangen die dünnen Veneers ihre kraftschlüssige Verbindung und maximale Festigkeit. Damit sind sie – so zu sagen – alltagstauglich.

Spektrum-e:
Ich fasse nun einmal zusammen:

Vollkeramische Veneers haben mittlerweile einen sehr hohen Qualitätsstandard und sind zu einem unverzichtbaren therapeutischem Instrument geworden, gerade wenn es um funktionell-hochästhetische Versorgungen geht.

Der Zahnhartsubstanzabtrag ist deutlich geringer als bei konventionellen Verfahren (Stichwort: Überkronung).

Die Datenlage ist positiv, wenn zu Beginn der Behandlung eine korrekte Indikation gestellt wird und neben der korrekten zahntechnischen Herstellung eine präzise Präparations- und geeignete Befestigungstechnik zum Einsatz kommen. Korrekt?

Dr. Kullmann:
Korrekt.

Spektrum-e:
Dr. Kullmann, Danke für Ihre Zeit!