Lesedauer: 3 min

  1. Wie kann dieser Habit therapeutisch angegangen werden
  2. Was bedeutet in diesem Zusammenhang reversible Maßnahme
  3. Gibt es einen idealen Zeitpunkt für den Beginn einer Behandlung mit reversiblen Maßnahmen?

Viele Patienten haben die Angewohnheit (Engl. habit) psychoemotionalen Stress über Ihr Kauorgan, sprich die Bezahnung, zu kompensieren und pressen und/oder knirschen auf Ihren Zähnen. Darüberhinaus gibt es auch andere Ursachen, wie schlecht durchgeführte zahnärztliche Restaurationen und/oder Kieferfehlstellungen.

Eine Extremform stellt der so genannte „Bruxismus“ dar, der seine Ursache in einem zentral-nervösen Prozess hat. Mit Psychopharmaka – z.B. Valium – kann man diesen zentral-nervösen Prozess unter Kontrolle bekommen, was unterstreicht, dass es sich beim echten Bruxismus um weitaus mehr handelt, als um eine bloße Angewohnheit. Dieser Artikel befasst sich deshalb nicht mit Bruxismus, dessen Ursache im zentral-nervösen Bereich liegt.

Wenn man sich tagtäglich „durch das Leben beißt“ wird diese Angewohnheit irgendwann von einer täglichen Routine zu einer nächtlichen Routine. Diese Routine läuft nicht bewusst, weder am Tage, noch in der Nacht. Allerdings sind sehr oft morgens Symptome festzustellen: Kopfschmerzen im Schläfenbereich, Nacken- und Rückenbeschwerden, aber auch Zahnschmerzen. Zudem kann durch diese nächtliche Parafunktion die Schlafqualität negativ beeinflusst sein und man wacht am nächsten morgen buchstäblich „kaputt“ auf. Die nächtliche parafunktionelle Aktivität hat zu einem Defizit an Tiefschlaf geführt. Der aber wird gebraucht, damit wir uns von Tag zu Tag ausreichend regenerieren können.

Wie kann dieser Habit therapeutisch angegangen werden ?

Zunächst einmal ist es wichtig, die Achtsamkeit und das Bewusstsein des Patienten bezüglich dieser Problematik zu entwickeln, da, wie oben bereits erwähnt, vielen Patienten ihr Zähnepressen- und Knirschen völlig unbewusst ist. Erst wenn sich ein schmerzhaftes Anzeichen zeigt, wie z.B. Kopfschmerzen, Zahnschmerzen usw., wird seitens des Körpers reagiert. In aller Regel erfolgt das durch Vermeiden von irgendwelchen Aktivitäten, die zu einer Steigerung der schmerzhaften Anzeichen führen. Diese Ereigniskette ist allerdings eine rein „reaktive“ und mit der wird man aus der bestehenden Symptomatik nicht herauskommen.

Erst durch einen „prospektiven“, sprich vorausschauend-präventiven Ansatz entkommt man der Spirale von immer wiederkehrenden Beschwerden im Kopf-, Hals-, Nacken- und Rückenbereich.

Diesem Ansatz folgend ist erst einmal wichtig zu verstehen, dass das Problem Zähnepressen und Zähneknirschen – soweit es rein habituell ist – nicht durch eine irreversible zahnmedizinische Intervention behoben werden kann, sondern zunächst einmal rein reversible Maßnahmen Ihren Einsatz finden sollten.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang reversible Maßnahme ?

„Reversibel“ bedeutet zunächst einmal, dass anfänglich keinerlei Veränderungen vorgenommen werden (neue Füllungen, Kronen, Kieferorthopädie usw.), sondern eine Trias aus (1) präventiver Schienentherapie, (2) Physiotherapie (hier v.a.D. Übungen, die der Patient/-in selber täglich ausführt) und (3)verhaltensmedizinscher Intervention, respektive Modifikation zum Einsatz kommen. Diverse Entspannungstechniken (autogenes Training, Athmungsübungen) können hier auch sehr unterstützend sein.

Erst, wenn es zu einer nachhaltigen und dauerhaften Reduktion der Beschwerdesymptomatik gekommen ist, kann über so genannte „irreversible“ Maßnahmen (Zahnersatz, Kieferorthopädie) nachgedacht werden.

Gibt es einen idealen Zeitpunkt für den Beginn einer Behandlung mit reversiblen Maßnahmen?

Grundsätzlich gilt, dass, wenn sich bereits Symptome zeigen, auch zügig eine Behandlung angegangen werden sollte. Alles, was an Beschwerden über 6 Monate andauert, hat das Potential zur Chronifizierung.

Chronische Beschwerden haben die unangenehme Eigenart eine eigne Dynamik zu entwickeln, was die Therapie zusätzlich erschweren kann und damit die Prognose für eine vollständige Gesundung senkt.

Dr. Andreas Kullmann, im Januar 2022-01-28

Der Autor erwarb seinen Titel als Master of Science im Bereich CMD/Craniofasziaschmerz am Departement of Surgical Sciences/Clinic of TMJ and Craniofacial Pain an der renommierten University of Minneapolis, Minnesota, USA. Er war außerdem von 2003 bis 2016 im Vorstand der European Academy of Temporomandibular Disorders and Orofacial Pain.